Wieso man ein Reetdach pflegen muss?

Gedanken, die man sich bei einer gründlichen Sanierung, wie wir es in Angriff genommen haben nicht unbedingt sofort macht.

„Ein Reetdach ist ein Pflegedach“…raunte uns der Dachdecker zu.

Und so bedeutungsvoll er es gesagt hatte, so  habe ich es immer noch gut im Ohr. Heute weiß ich, was er meinte.

Es war 2003. Wir hatten unseren Angeliter Dreiseithof gerade gekauft und waren dabei ihn von Grund auf zu sanieren.

Das meiste in Eigenleistung.

Das Reetdach vom Haupthaus war schon ziemlich kaputt, als wir den Hof übernahmen. Auf dem Dachboden standen überall Eimer und alte Töpfe um das Regenwasser aufzufangen. Man konnte durchs Reet schauen.

So hatten wir das gekauft. Das war ja keine Überraschung für uns.

„Ein Holzgutachter müsste sich mal die Balken anschauen“, meinte der Statiker.

Was hatte das nun wieder zu bedeuten, dachte ich.

Okay, das Haus ist von 1859. Die Balken eben so alt. Vielleicht sogar noch älter. Früher hat man ja immer alte Baumaterialien wieder verwertet.

Bei Fachwerkhäusern sieht man das manchmal, weil Zahlen an den Balken stehen. Das bedeutet, dieses Haus hat schonmal woanders gestanden und man hat die Balken nummeriert um sie schneller wieder in der richtigen Reihenfolge wieder aufbauen zu können. Solche Balken haben wir in den Scheunen.

Bei uns gab es im sogenannten Haupthaus nur schöne Malereien an einigen Balken. Die Gefache- das sind die Zwischenräume zwischen den Balken- waren etwa 150cm auseinander.

Konstruktion

 

Viel zu breit für unsere Idee den Boden irgendwann mal auszubauen.

Der bestellte Holzgutachter kam und untersuchte die Balkenköpfe auf ihre Tragfähigkeit.

Dabei kam dann raus, dass einige Balken nicht gut und vielleicht durch einen Holzwurm beschädigt waren.

Das bedeutete, die mußten verstärkt werden.

Machen wir alle oder nur die, die nötig waren?

Leichtsinnigerweise sagte ich schnell: besser ist wohl „ alle“ , ohne zu wissen, dass das oben im Dach ja weiter geführt werden mußte.

Also bekamen alle Gefache einen zusätzlichen Balken dazwischen.

Um die Last durch das Gewicht nicht auf die Außenmauer zu bringen wurden diese Zwischenbalken an den alten Balken aufgehängt. Von unten sieht es aus wie ein Holzbrett. In Wirklichkeit ist es aber aber ein Balken. Damit die alten Balken das zusätzliche Gewicht dann auch halten, haben wir Spangen an die Balkenköpfe gebaut.

Wenn ich hier schreibe wir, dann meine ich auch wir. Auch unsere Kinder und die weitere Familie haben fleißig geholfen die viele Schrauben in die Balken zu drehen….und es waren viele.

Pro Balken 12 Schrauben und das mal 2 (je Dachseite) x 17 Balken. Juhu.

 

Gegen den Holzwurm haben wir übrigens auf Anraten eines alten Fachmanns alle Balken mit Leinölfirniss gepinselt

Soweit so gut.

Es ging weiter mit unserem Dach. Das alte Reet musste runter und auch die alte Lattung.

Das machten die Reetdachdecker. Wir übernahmen um Kosten zu sparen die weitere Entsorgung.

Was für eine Arbeit. Ich möchte das nicht nochmal machen.

Zu Anfang war es ja noch witzig im Container rumzuhopsen…

Nach dem 20. Container stoppte ich das.  Ich glaub jeder Container hatte uns 200+ gekostet. Wir haben damals nicht im Geld gebadet und tun es jetzt auch nicht. Also verbrachten wir das alte Reetdach auf einem Haufen und ließen es iverrotten und irgendwann vom Landwirt auf unserem Acker unterpflügen.

Neue Lattung mußte aufgebracht werden und auch die Gauben eingearbeitet.

 

Auch die Gauben waren ein Thema für sich. Herjeh, was man alles so beim Bau entscheiden muß.

Wir waren uns erst gar nicht klar, wie wir das Dach mal ausbauen wollten. Wie sollte die Belichtung durch Fenster sein? Wir haben eine Metallkonstruktion mit Doppelt Trägern im Dach eingebaut, mit der wir eine Gaube von einem zum anderen Ende bauen könnten.

Eingebaut haben wir aber kleine Gauben, die sich viel besser dem Denkmal und dem Auge anpassen.

Dann kam auf die neue Lattung das neue Reet.

Ganz bewusst hatten wir das unregelmäßige Reet aus Nordfriesland gewählt und nicht wie zu der Zeit modern feinhalmiges aus Ungarn. Ich glaub, das ist unser Glück, weils so besser abtrocknen kann.

Bund für Bund flog das Reet aufs Dach.

Meter für Meter arbeiteten sich die Dachdecker in Reihe hoch zum First.

 

Faszinierend anzuschauen für den, der das nicht machen muss.

Jedes Reetbündel wurde mit einem vorbereiteten Draht an den Latten angeschraubt. Frühre wurde das mit Hanf festgebunden, was heute sicher aus Kostengründen nicht mehr gemacht wird.

Immer wieder mußte das Reet mit einer Platte festgeklopft und in Form geklopft werden.

Ich glaube etwa drei Wochen hat das dann gedauert.

Schön sah es aus. Gerne schaue ich den Handwerkern bei diesen besonderen Arbeiten zu.

Fliegende Reetbündel, ein verlorenes Handy im Reet, Dachdecker, die bei Regen in der Gaube hockten um sich vor Regen zu schützen.

Schöne Erinnerungen überwiegen. Auch weil es so eine tolle Gemeinschaftsaktion war.

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Regen, der nicht abtrocknen kann wenns lange Zeit regnet, kann zum Problem werden.

Das Reet muß ständig durchpustet werden. Bei langen Regenphasen ist das schwierig.

Bäume, die Schatten schmeißen sind da auch nicht hilfreich. Uns war das bewusst, aber unserer Linde wollen wir nicht zu Laibe rücken.

Dann gibt es da noch Flechten, die nicht erwünscht sind und sich auf dem Dach ansiedeln…

Was also tun? Kupferwolle webten einige in ihre Dächer mit ein. Der Gedanke das irgendwann mal zu entsorgen war nicht gerade das, was wir für gut hielten.

So haben wir extra Kupferplatten unter dem First anbringen lassen. Man hat ja zwei Seiten Reet, die oben zusammenstoßen und sowieso irgendwie geschlossen werden müssen. Wir ließen also Kupferbleche börteln (biegen) und auf die Naht legen.

Da Stephan mit seinem Vater früher viel mit Metall Hallen gebaut hat, kennt er sich mit dem Material auch aus.

Unsere Theorie war/ist, dass der Regen an dem Kupfer längs läuft und verhindert, dass sich Moos bildet, unter dem das Reet dann vergammeln würde.

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Bald merkte ich, was mit dem Pflegedach gemeint war.

Vögel fanden es total praktisch sich für ihren Nestbau die Halme aus dem Reet zu zupfen.

Hier ein paar Halme, dort etwas mehr.

Beim nächsten Sturm griff der Wind rein und riß ein größeres Loch rein.

Auch Marder und co. finden so ein Reetdach ziemlich kuschelig.

So hat das Reetdach ein paar „Feinde“ die dafür sorgen, dass das Reetdach eine Pflegedach ist.

Ein etwas kleineres Problem sind die Hängehölzer.

Das sind die Eichenhölzer, die ganz oben auf dem First liegen um das Heidekraut, dass die Naht der beiden Reetseiten eigentlich verdeckt, beschwert. Die Hölzer sind eigentlich mit einem Draht wie an einer langen Schnur befestigt. Die trocknen aber irgendwann mal aus und fallen runter.

Übrigens gibt es diese Hängehölzer als besonderes Element nur in der Region Angeln und in Südengland soweit ich weiß.

Man muß sich als Besitzer schon drum kümmern.

Ein paar mal hatten wir seit 2004 wo unser Dach gedeckt wurde schon ausbessern lassen.

Nun waren es aber ein paar größere Aktionen.

Aber ganz neu mußte es nicht. Schließlich sagt man so ein Dach hält 40-50 Jahre.

Da spielt natürlich das Klima eine unbekannte Rolle, auf die wir wenig Einfluss haben. Aber alles, was wir tun können und das Dach so lange wie möglich nicht ganz neu decken zu lassen, wollen wir gerne tun.

Der Gedanke an 2004 und die ganze Arbeit ist einfach zu präsent. Immer noch. Das steckt uns in den Knochen sozusagen.

Also begann erstmal die Suche nach einem ReetDachdecker, der auch „Flick“ macht, wie man so schön sagt.

Jeder, der heutzutage Handwerker braucht, weiß, wie schwierig das sein kann. Und hier sind es Spezialisten, die es sowieso selten gibt. Und dann auch noch Flick.

Glück gehabt.

Knapp zwei Wochen waren die Reetdachdecker da und haben Löcher gestopft, Reet geklopft, kaputte Bretter ausgetauscht und alles wieder in Form gebracht.

 

Nun kann das Regenwasser wieder richtig am Ortgang runterrutschen und bei den Gauben wieder auf die Leckbretter unter den Fenstern tropfen.

Das Reetdach bildet jetzt auch wieder eine geschlossene Fläche, sodaß der Niederschlag schnell zu den Traufen geführt wird.

Sturmsicher, schneesicher und frostbeständig .

…und im Gegensatz zum Hartdach diffusionsoffen, atmungsaktiv und Luftfilternd.

Es gehört einfach hierher. Auf unseren Hof und in diese schöne Landschaft Angeln.

Schön sieht es wieder aus, unser Reetdach. Jeden Tag freu ich mich dran…und andere auch.

So lange, bis wieder Vögel Halme aus dem Dach ziehen, Marder versuchen ins Haus zu kommen oder uns ein Sturm erwischt.

Ein Reetdach ist eben ein Pflegedach. Lebendig und nachhaltig.

 

Reetdach